Wahrscheinlichkeits-Stratigraphie (Probabilistic Stratigraphy)

Mit den graphischen Methoden (Age Depth Plot programm) haben wir eine Möglichkeit kennengelernt neue stratigraphische Ereignisse (FAD's und LAD's von Mikrofossilien, magnetische Polaritätsumkehrungen) mit Hilfe der stückweise linearen Interpolation in eine bestehende Chronologie zu integrieren und so die mögliche Auflösung zu verbessern. Im Falle von mehreren Bohrkernen (=Normalfall) ergaben sich im einzelnen leicht unterschiedliche Alter, je nachdem wie die jeweiligen Altersmodelle konstruiert worden sind. "Mittlere" Alter für ein bestimmtes Ereignis können durch Berechnung von Mittelwerten (und deren Fehlergrenzen) über die verschiedenen Bohrkerne beziehungsweise Profile abgeschätzt werden.
 
Ein ganz anderer Ansatz wurde von W.W. Hay (1972) mit der Probabilistic Stratigraphy vorgeschlagen. Dabei wird bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein stratigraphisches Ereignis in einer bestimmten Reihenfolge in der Sedimentkolonne vorkommt. Es geht also nicht um die direkte Datierung von Proben, sondern um die Feststellung der "richtigen" Abfolge von Events in einer Anzahl von Profilen, und wie wahrscheinlich diese Abfolge von allen theoretisch möglichen Kombinationen von Abfolge ist.
 
Die Methode ist ganz einfach, und kann von Hand durchgespielt werden (mit dem Computer geht's natürlich viel schneller):
 
1. Schritt: Zusammenstellen der stratigraphischen Informationen:
Für jedes Profil wird die gefundene Abfolge von Ereignissen zusammengetragen.
Dies kann entweder schematisch gemacht werden, indem in jedem Profil die relative Abfolge aufgezeichnet wird, oder quantitativ, indem die Profiltiefe- oder Höhe im Metern in einer Matrix zusammengetragen wird.
 
 
2. Schritt: Festlegen einer Anfangs (Null) Hypothese über eine mögliche Abfolge:
Bei wenigen Profilen und wenigen Ereignissen ist es einfach die am meisten wahrscheinliche Sequenz von Ereignissen von Anfang an richtig zu bestimmen.
 
Bei vielen Profilen und einer grossen Anzahl von stratigraphischen Events ist die "manuelle" Bestimmung der richtigen Abfolge jedoch schwierig bis unmöglich.
 
Man versucht daher aus dem vollständigsten Profil, wo die meisten Ereignisse vorkommen, die bestmögliche Abfolge zu bestimmen. Die übrigen Ereignisse, die hier nicht vorkommen, werden so vernünftig wie möglich in die Abfolge eingefügt (aus der Interpretation der anderen Profile). Dies ergibt dann die Null-Hypothese für eine Abfolge aller Ereignisse.
 
 
3. Schritt: Aufstellen der Relationsmatrix:
Die in 2.) gefundene Abfolge von Ereignissen wird in horizontaler (x) und vertikaler (y) Richtung zu einer Matrix angeordnet. In jedes Element dieser Matrix werden zwei Werte eingefüllt (n und N) und als Bruch n/N für jedes xy Paar von Events dargestellt:
n bezeichnet die Anzahl der Profile, in denen das Event auf der x-Achse stratigraphisch unterhalb des Events auf der y-Achse vorkommt. Mit anderen Worten: n bezeichnet die
Anzahl Profile, in denen ein bestimmtes Paar von Events in der "richtigen" Abfolge
(also jener der Null Hypothese) vorkommt.
 
N bezeichnet die Anzahl von Kernen, in denen ein Paar von Events stratigraphisch separierbar ist, egal ob in der richtigen oder falschen stratigraphischen Reihenfolge.
 

 

4. Schritt: Analyse und Revision der Relationsmatrix:
Nun untersucht man in der Matrix für jedes Ereignispaar (xy Paar) ob die gefundene Abfolge richtig ist oder ob sie vertauscht werden muss, damit sie mit der Null Hypothese übereinstimmt.
Die wahrscheinlichste Abfolge ist dann erreicht, wenn alle xy Paare in der oberen linken Hälfte der Matrix einen n/N Bruch von grösser oder gleich 1/2 erreicht haben.
 
Dieses Resultat wird iterativ wie folgt erreicht:
Zum Anfangen geht man in die linke untere Ecke und sucht das erste xy Paar oberhalb der Diagonale, welches <1/2 ist. Die Abfolge wird vertauscht, und die Paare in der Relationsmatrix werden mit dieser neuen Reihenfolge (auf der x und y Achse vertauschen !) neu arrangiert.
 
Dann wiederholt man den Vorgang wieder von unten links nach oben und entlang der Diagonalen, und rearrangiert wieder. Schlussresultat ist die revidierte Relationsmatrix, in der alle Event Paare in der oberen linken Hälfte der Matrix einen n/N Bruch von grösser oder gleich 1/2 erreicht haben.
Damit hat man die am meisten wahrscheinliche stratigraphische Abfolge der Ereignisse herausgefunden.
Beispiel aus Hay (1972), Seite 262-263:
Die Untersuchung der anfänglichen Relations-Matrix (Bild links) zeigt, dass die Relation
(V y) umgekehrt sein sollte, da der entsprechende n/N Quotient in der oberen Hälfte der Matrix 1/4, also kleiner als 1/2 ist. Die neue Sequenz wird damit von unten nach oben, also:
< n u y V d F ~ W D.
 
Um weiter zu kommen müssen Sie die n/N Relationsmatrix mit dieser Abfolge neu erstellen. Darin werden Sie sehen, dass d unterhalb y und V kommen muss, da die Quatienten 0/5 und 1/4 in der oberen Matrix auftreten.
Nach dieser zweiten Korrektur wird die Sequenz < n u d y V F ~ W D werden.
 
Schlussendlich, nach erneuter Korrektur der Relationsmatrix wird klar, dass die Position von F geändert werden muss, weil n/N für (F d ) ist 1/4, n/N für (F V) ist 0/5, und n/N für (F u) ist 1/5 und für (F < ) ist ebenfalls 1/5. F muss also zum untersten Glied der Abfolge werden, also phi < n u d y v ~ w und D.
 
 
Mit dieser letzten Sequenz gibt es in der oberen Hälfte der Matrix keine n/N Quotienten mehr die 1/2 sind. Damit haben wir die am meisten wahrscheinliche Abfolge aller Events gefunden.

 

 

 
 
5. Schritt: Berechnung der Wahrscheinlichkeit, mit welcher ein bestimmtes Eventpaar in der vorausgesagten Abfolge auftritt:
 
Die Wahrscheinlichkeit P, dass eine bestimmte Abfolge eines xy Paares in einer vorgegebenen Anzahl von Ereignissen zufällig auftritt kann berechnet werden als:
 
Dabei ist N die Anzahl trennbarer stratigraphischer Ereignisse, und n ist die Anzahl Male, in denen ein stratigraphisches Ereignis in der vorgegebenen (also richtigen) Sequenz vorkommt.
 
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Abfolge nicht zufällig ist, ist demzufolge 1-P.
 
Für alle Wertepaare in der oberen Hälfte der Relationsmatrix kann man unter Verwendung der n- und N Werte eine Wahrscheinlichkeit 1-P berechnen, mit der ein Eventpaar in der vorausgesagten Abfolge vorkommt.
 
Beispiel aus der Eventmatrix: für n/N = 3/4:
Es hat 4 trennbare stratigraphische Ereignisse, d.h. alle 4 Events kommen in einer anderen Profilhöhe vor. Davon sind 3 Ereignisse in einer vorhergesagten (richtigen) Abfolge. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Anordnung nicht zufällig ist, ist:
 
1-0.625 = 0.375
 
 
6. Schritt: Schlussfolgerung - welche Werte von 1-P sind massgebend ?
Nachdem alle n/N Werte in der Relationsmatrix berechnet worden sind, stellt man fest, dass es hohe und tiefe Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten einer bestimmten Ereigniskonstellation hat.
Welche Wahrscheinlichkeiten sind nun massgebend ?
 
Tabelle 1 in Hay (1972) zeigt sämtliche Werte von 1-P und P als Funktion von n und N (Sie können diese Tabelle leicht nachfolziehen, indem Sie die Werte von n und N in die obige Formel für P einsetzen). Setzt man sich nun willkürlich die Grenze, dass eine Abfolge von Ereignissen mit einer Wahrscheinlichkeit von 0.999 (=99.9%) nicht zufällig ist, erkennt man, dass dies erst bei Werten von N=8 und n=8 zutrifft. Mit anderen Worten: In mindestens 8 Sektionen müssen mindestens 8 Events getrennt vorliegen, um sagen zu können dass die vorausgesagte stratigraphische Abfolge zu 99.9% zutrifft.
 
 
 
 
 
Uebung:
Schritte 1-5 können mit dem Computer durchgespielt werden. Hier können Sie das Programm Prob_stat5.out zusammen mit einem Beispiel auf Ihre Harddisk herunterladen. Das Beispiel ist dasselbe wie im Paper von Hay, 1972 auf Seite 261.
 
1. Versuchen Sie zuerst das besprochene Beispiel von Hand durchzurechnen. Dann versuchen Sie einmal dasselbe Problem mit dem Programm Prob_stat5 durchzuspielen (Beachten Sie die Formate im Beispiel; die Inputfiles können Sie mit Word oder Teachtext öffnen).
 
2. Wenden Sie nun das Programm auf die Silicoflagellaten Stratigraphie vom letzten Male an.
Holen Sie sich dazu nochmals die Range Chart der Silicoflagellaten Ereignisse (Download: Silicoflagellaten Range Information und bekannte Altersmodelle, und verwenden Sie den Ordner Silico Range Charts. Stellen Sie zuerst die Range Chart zusammen, mit Metern für jedes Bohrloch. Dann nennen Sie eine Null-Hypothese, und starten damit das Prob_Stat Programm, rechnen die Relations-Matrizen iterativ durch. Schlussendlich vergleichen Sie die wahrscheinlichste Abfolge mit jener Abfolge, die Sie über das Age-Depth Plot Programm und die Berechnung von mittleren Alterswerten der Silicoflagellaten Events gefunden haben.
 
 
 
 
Literatur:
Hay, W.W. 1972. Probabilistic stratigraphy. Eclogae geologicae Helvetiae, vol. 65/2, pp. 255-266, August 1972.

Hay, W.W., 1974. Implications for Probabilistic Stratigraphy for Chronostratigraphy. In: Contributions to the Geology and Paleobiology of the Caribbean and Adjacent Areas. Dedicated to the 80th Birthday of Hans G. Kugler. Verhandlungen der Naturforschenden Gesellschaft in Basel, Band 84, No. 1, pp. 1-520.